In fremde Rollen schlüpfen statt Grammatik pauken, als Bühnenstar glänzen statt stupide Vokabeln lernen - junge Flüchtlinge an der Grund- und Mittelschule im fränkischen Rednitzhembach
(Landkreis Roth) erleben derzeit einen Deutschkurs der ganz anderen Art. Im Rahmen eines Theaterprojekts werden die 12 jungen Migranten aus acht verschiedenen Ländern seit Monaten ganz
unverkrampft mit der Sprache ihrer neuen Heimat vertraut gemacht.
Bei der Premiere des von ihnen aufgeführten Märchen-Stücks "Der eigensüchtige Riese" am vergangenen Dienstag bewiesen die zwölf Flüchtlings-Jugendlichen: Wir können das. Eine Lehrerin ist
begeistert: "Ich habe meine Schüler nicht wiedererkannt - so toll haben die Deutsch gesprochen", berichtet sie nach dem Ende der Aufführung.
Als der Applaus der rund 60 Zuschauer im großen Saal des örtlichen Gemeindezentrums verklungen ist, wirkt der 16-Jährige Saheed Rahmann sichtlich erleichtert: "Als ich auf die Bühne
gekommen bin, habe ich schon ein bisschen Angst gehabt", gesteht der junge Syrer. In dem Stück spielt er einen blinden Jungen. Für die Rolle habe er viel geübt: "Ich habe zu Hause vor dem
Spiegel gestanden und immer wieder meinen Text laut vorgesprochen", erzählt er. Deutsch sei halt nicht gerade einfach.
Das Theaterprojekt nimmt den jungen Flüchtlingen ihre Hemmungen
Dennoch: Bei seinem Soloauftritt vor einer angedeuteten Garten- und Schlosskulisse formuliert der vor einem Jahr nach Deutschland gekommene Saheed Rahmann jedes Wort seines sprachlich
anspruchsvollen Rollentextes klar und verständlich. Mit sanften, einschmeichelnden Worten versucht er, den eigensüchtigen Riesen milde zu stimmen, bis er ihn zum Freund gewonnen hat.
Saheed Rahman und seine elf Mitspieler verdanken diese ungewöhnliche Form der Sprachförderung einem Modellprojekt: Sie sind Schüler in einer der bayernweit sieben Übergangsklassen für
junge Flüchtlinge mit Ganztagsunterricht. "Nur unter solchen Bedingungen ist ein so aufwendiges Theaterprojekt überhaupt möglich", macht Jörg Deffner deutlich, der die 12
jungen Flüchtlinge in die Welt des Theaters einführte. Wenn er nicht gerade als Theaterpädagoge arbeitet, leitet der erfahrene Theatermann das Theater Rednitzhembach.
Für die Sprachförderung der jungen Flüchtlinge ist die Sozialpädagogin Irina Spahl zuständig. Als es darum ging, den jungen, oft verunsicherten Flüchtlingen die Hemmungen zu nehmen,
Deutsch zu sprechen, setzte sie konsequent auf Rollen- und Theaterspiel. "Wir haben uns für das Theaterspielen entschieden, weil wir damit mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen
konnten", begründet sie ihre Entscheidung.
Verbessert auch die Aussprache: das häufige Wiederholen des Rollentextes
Das leichtere Erlernen der deutschen Sprache sei dabei nur eine Ebene. Das Theaterspiel verhelfe den jungen Flüchtlingen vor allem zu mehr Selbstbewusstsein. "Als sie das Stück vor ein
paar Wochen zum ersten Mal vor ihren deutschen Mitschülern gespielt haben, waren die jungen Flüchtlinge plötzlich die Stars. Die deutschen Mitschüler haben gemerkt: Hey, die können ja
ganz gut Deutsch. Die waren plötzlich auf dem Schulhof keine No-Names mehr", berichtet die Sozialpädagogin.
In sprachlicher Hinsicht setzt das Projektkonzept darauf, den jungen Flüchtlingen aus Aserbaidschan, Rumänien, Syrien, Afghanistan, Eritrea, Kasachstan, Moldawien und der Ukraine die
Angst vor der unbekannten Sprache zu nehmen. Mit dem häufigen Wiederholen des Textes verbesserten sie zudem ihre Aussprache. Später auf einer großen Bühne vor vielen Menschen aufzutreten,
stelle für sie dabei einen großen Motivationsschub dar.
Großen Wert legen die Projektmacher aber nicht nur auf Teamgeist und schauspielerisches Können. Subtil machen sie die jungen Zuwanderer im Rahmen des Theaterprojekts mit Werten und
Umgangsformen ihrer neuen Heimat vertraut. So lernten sie beispielsweise, bewusst auf Menschen zuzugehen, sie höflich, aber bestimmt anzusprechen. Zum Pflichtprogramm einer
jeden Aufführung gehört, jeden einzelnen Besucher freundlich persönlich mit Handschlag zu begrüßen.
Dass Flüchtlinge beim Agieren auf der Bühne schneller mit der ihnen fremden Sprache vertraut werden, davon sind auch andere Fachleute überzeugt: "So etwas macht für den Spracherwerb
unbedingt Sinn", findet etwa der Leiter der Theaterpädagogischen Akademie in Heidelberg, Wolfgang G. Schmidt. "Die Hirnforschung hat herausgefunden, dass Lernen mit Bewegung und Gesten
einfacher ist. Der Mensch merkt sich Dinge besser, wenn er sie mit Hand und Fuß erfahren hat", erläutert Schmidt, dessen Akademie Theaterpädagogen ausbildet. (Klaus Tscharnke, dpa)